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Kanda second hand book area

Steffi Jüngling 
analog um die Welt
 
Reisetagebuch 04/2004 
 
 
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  1.4.2004  
 

Heute war eine Übung in Verlorengehen und Wierderfinden angesagt, Ich fuhr mit der Bahn in die Stadt, wollte mir aber die Kirschblüte im Yoyogi Park ansehen und stieg so ein paar Haltestellen vor Shinjuku aus, Uehara Yoyogi. Wenn Yoyogi Teil des Stationsnamens ist, kann der Park ja wohl nicht weit sein, dachte ich. Ich stieg also aus und erst auf der Strasse fiel mir auf, dass ich meinen Stadtplan zuhause vergessen hatte. Ich lief also ein wenig planlos durch die Gegend und fragte dann eine Japanerin, wie ich denn zum Yoyogi Park käme. Also ohne Fahrrad sei das nicht möglich meinte sie. Leider war mein Japanisch nicht gut genug, um mit ihr zu diskutieren, oder mir doch wenigstens die Richtung zeigen zu lassen...

Ich hatte keine Ahnung, wo ich mich befand und beschloß dann einfach, etwas durch den Stadtteil zu wandern und dann eben bei der nächsten Station, die mir begegnen würde in die Bahn zu steigen ...aber ich hatte Glück. Ich kam zu einem Schrein, an dem ein Statdplan hing und ich war zufällig in die richtige Richtung gegangen ...noch über einen Hügel und ich war im Yoyogi Park, wo ich wieder einen Kirschblüten-Augenschmaus hatte. Der Anblick der Kirschen in voller Blüte erinnerte mich an die Brüder Löwenherz, die sich ja im Kirschblütental wiedertreffen und ja, das ist sicher ein geeigneter Ort für ein Wiedersehen

Von dort aus ging es weiter nach Shibuya, einem Herzen Tokyos, das man auch oft auf Bildern sieht, da es dort eine berühmte große Kreuzung gibt, die immer ein wenig einem Ameisenhaufen ähnelt. Dort in der Nähe befindet sich das MANGA Cafe, in dem ich gerade immer meine Mails checke, ein dunkles Stockwerk in einem Hochhaus, in dem jeder in seiner kleinen Medienzelle sitzt und sich weiss-der-herr-was ansieht.

In einem Buch/CD/Video und Game Laden wurde gerade Werbung für die eben herausgekommene DVD Matrix Revolutions gezeigt. Und obwohl ich mir ja erst vor einem Monat geschworen hatte, mir keine weitere Matrix Folge mehr anzusehen, weil ich die letzte einfach für so schlecht gehalten hatte, blieb ich doch 10 Minuten vor dem Bildschirm stehen und dachte. Hm, den jetzt auf Video...und nichts ist ja schöner, als bestätigt werden in seiner Meinung, dass man ja vorher wusste, das der Film schlecht sein würde... Aber 2500 Yen sind für den Spass dann doch etwas zu viel.

Abends stand wieder mal Hanami, also Betrachten der Kirschblüten in einem anderen Park auf dem Programm... Der Nieselregen hielt keinen Japaner ab standhaft sitzenzubleiben und die allgemein fröhliche Stimmung zu geniessen.

  2.4.2004 nach oben 
 

my desk is my castle... ich verbrachte einen ruhigen Vormittag mit diversen Denk-und Schreibarbeiten und dann ein Besuch im Macstore, wo ich mich erkundigte, wieviel ein Airport für meinen Computer kosten würde. Mit diesem Airport könnte ich dann von vielen Punkten innerhalb der Stadt ohne Kabel und kostenlos Mails empfangen und senden können. Leider überzogen die Kosten mein Budget und so muss ich weiterhin auf den Internetanschluß hier im Haus warten.

Nachmittags traf ich mich dann mit der Neuseeländerin Cushla im Ueno Park. Dort gab es ein phantastisches Grüntee-Eis und sie lud mich ein, an einem Performance Abend in meiner Lieblingsgalerie teilzunehmen. Mir schoß augenblicklich eine Idee durch den Kopf, mit der ich bereits seit Jahren 'schwanger' gehe und ich sagte spontan zu. Hinterher fragte ich mich, ob ich noch alle Tassen im Schrank hätte. Ich kann von mir ja einiges behaupten, aber nicht gerade, dass ich eine Performance-Künstlerin wäre. Bis zu dem Termin in knapp einer Woche kann ich mich jetzt mit schweißigen Händen fragen, was da in mich gefahren ist...

Abends fuhr ich dann als Dosensardine mit der Tokyoter Metro zurück. in mein Nest. In einem Kabarettstück über die Deutsche Bahn hatte ich mal gehört, dass man von der Reibungsenergie in den ICEs eine mittlere Kleinstadt beleuchten könne. Also, das ist ja nichts im Vergleich zu der Reibungsenergie, die in den Tokyoter U-Bahnen erzeugt werden könnte. Ich denke da ehrlich gesagt nicht an die Beleuchtung von Kleinstädten, sondern eher an U-Bahnen, die sich durch ihre Reibungsenergien von der Schiene lösen, sich zu Raketen entwickeln und mit ihren Passagieren kurzerhand nicht nach Chiba, Hakone oder Yokohama, sondern vielleicht eher zum Mond fliegen.

  5.4.2004 nach oben 
 

Für eine Arbeit wollte ich in ein paar französischen Originaltexten von Roland Barthes forschen und ging ins Institut Francais. Dort entdeckte ich eine wunderbare Filmbibliothek mit vielen Streifen, die ich noch nicht gesehen habe, oder gerne mal wieder gesehen hätte. Also, wenn in Japan im Juni die Regenzeit ansteht und ich ein paar Stunden frei habe, werde ich mich wohl dort mit ein paar Filmen einigeln. Ja, wer sich für Literatur oder Film interessiert hat irgendwie immer eine verheißungsvolle Zukunft vor sich...

Ansonsten bin ich ja immer noch dabei, meinen autodidaktischen Katakana Kurs fortzusetzen. Interessant ist, dass es im Japanischen keinen Unterschied zwischen 'l' und 'r' gibt und somit die Katakana für Larry auch Rally bedeuten können. Ich muss da an eine Anekdote meines australischen Freundes John denken, der immer japanische Austauschschüler bei sich zuhause aufgenommen hatte und als die Oma mit dem Namen Mary vorgestellt wurde, hatten die japanischen Schülerinnen immer gekichert und dann Merry Cristmas, Merry Christmas ausgerufen.

Die Katakanas sind eine Art Lautschrift für die Fremdworte im Japanischen; die (meist englischen) Fremdworte, werden ihrem Klang nach geschrieben, also 'naifu' anstelle von 'knife'.
Hier ein paar Worte zum raten: roosutochikin (roast chicken), hanemuun (honeymoon), howaitohausu (the white house), mekishiko (Mexiko) usw.

  6.4.2004 nach oben 
 

Hatte mich zum 2.Frühstück und ein paar Briefe ausdrucken mit Kathrin verabredet. Ich erzählte ihr von einem seltsamen Traum, den ich in den letzten Tagen, bzw Nächten gehabt hatte ...ich war aufgewacht und es war ein Erdbeben, ich dachte aha, so fühlt sich das an und schlief wieder ein... da meinte Kathrin, daß das ein echtes Beben gewesen ist und nicht ganz unbedeutend, denn ihr japanischer Freund war aufgestanden und hatte die Balkontüre aufgemacht, um im Ernstfall einen Fluchtweg zu haben. Aha.

Ich blieb bis zum Abend bei ihr und machte mich dann auf zu einem Treffen in der ef-Galerie , wo ich mich mit den anderen Teilnehmern der Performance Veranstaltung treffen wollte. Das Treffen war allerdings für 21.30h angesetzt und da es in Tokyo nicht gerade einfach ist, nach 12h nachts noch überall hin nachhause zu kommen, machte ich mich ab 23.30 auf den Heimweg. Alles klappte prima und ich hatte auch einen Sitzplatz im Zug von Shinjuku aus bekommen, aber dann stieg ich wie immer in Mukuoga Yuen aus, wo ich in den Lokalzug umsteigen muss. Normalerweise. Als ich den Bahnangestellten auf der Plattform nach dem Lokalzug fragte, sah er mich mitleidig an, ja, der Zug, aus dem ich eben ausgestiegen war, war der letzte Zug gewesen, ein 'semi express', der auch in Ikuta, meiner Station hält.

So ein MIST!

Für ein Taxi war ich zu geizig und so machte ich mich auf zu einem Fußmarsch nachhause, wo ich dann gut 35 Minuten später immer noch verärgert über meine eigene Dummheit (zu müde zum Fragen) ohne Zähneputzen und mit einem großen Bier trotzig ins Bett legte. Mittlerweile war es nach 2 Uhr nachts- in so Momenten wünsche ich mir eine Beziehung, um meinem Ärger Luft zu machen, oder, besser noch, um jemanden zu haben, mit dem man dann über die eigene Dummheit lachen kann.

  7.4.2004 nach oben 
 

Habe mich endlich wieder in einer Bibliothek mit japanischer Lektüre eingedeckt, vor allem mit einem Krimi, der im Nachkreigs-Tokyo spielt und mit 'the tattoo murder case' betitelt ist. Dieser Krimi sollte mich die nächste Nacht in den Bann schlagen und von allen anderen Tätigkeiten abhalten. Hatte ja ewig keinen Krimi mehr gelesen... und merke wieder mal, dass ich auch so eine gewisse Sehnsucht nach einer Folge Tatort verspüre, möglichst aus Köln, Dresden oder Leipzig...

Glücklicherweise bin ich ja nicht von Heimweh befallen, manchmal möchte ich mir natürlich Freunde herbeibeamen, oder mich zu meinen Freunden beamen, je nach dem; öfters mal wünsche ich mir meine Bücher in Griffbereitschaft, zum Beispiel um diesen Essay aus Dave Hickeys 'AirGuitar', den über Siegfried und Roy, Las Vegas und das Leben wieder zu lesen... Aber, wäre der Band griffbereit würde ich vielleicht nie auf die Idee kommen...

Auf jeden Fall habe ich jetzt wieder begonnen, japanische Literatur zu lesen, suche gerade nach allen ins Englische übersetzte Texte von meiner favorisierten Autorin Uno Chyo. Wer von ihr noch nichts gelesen hat, dem sei 'Die Geschichte einer gewissen Frau' empfohlen. Gibt es in einer guten deutschen Übersetzung und gerade öfter mal in modernen Antiquariaten in Deutschland...

  10.4.2004 nach oben 
 

Nach 8 Monaten stand heute ein Wiedersehen mit meinem Webmaster auf dem Programm. Wir waren in Ueno verabredet, wo ich in einem Cafe warten wollte, bis er mich dort finden oder anrufen würde. Als ich im Cafe ankam, waren alle Plätze besetzt, ich drehte mich um, ging in die Bahnhofshalle und da war Nib.

Manchmal frage ich mich, woran man Menschen, die man kennt, wiedererkennt. Was macht uns, jeden einzelnen aus, warum stechen bekannte Gesichter aus der Menge hervor? Ich sprudelte erst mal wie ein kleiner Gebirgsbach, während Nib mit den Eindrücken und dem Jetlag kämpfte. Mein Leben hier kommt mir eh schon unwirklich vor. Und die Vermengung von verschiedenen Realitäten verwirrt mich bisweilen.

Wir spazierten durch den Ueno Park, und dann zeigte ich ihm meinen Lieblingsstadtteil Asakusa, wo ich Nib mit leckerem Ramen (also Nudeln in Brühe) auf die Stäbchenprobe stellte. Aber so ein paar Stäbchen sind ja für einen Franken kein Hinderniss...

  11.4.2004 nach oben
 

Bei herrlichstem Wetter wanderten Nib und ich durch Harajuku, bis ich zu meinem ersten Treffen eines Tokyoter Buch-Clubs ging. Das Treffen fand im zigsten Stock eines Hochhauses, in einem Restaurant mit unglaublichem Blick über die Stadt statt; bei anderen Sichtverhältnissen könne man den Fuji sehen, hiess es. Stilvoll. Die anderen Teilnehmer entpuppten sich als eine gemischte Gemeinde meist englischsprachiger Ausländer ...und irgendwie hatte ich Probleme mit der Art des Besprechens. Das ausgewählte Buch 'Waiting for the Barbarians' von Coetzee war sehr gut und ich hätte es ohne das Treffen nicht gelesen (was ja schon mal ein Pluspunkt ist), aber bis auf eine frauenbewegte Kanadierin hatte ich nicht das Gefühl eines anregenden Austausches. Schade, und mal sehen, wie es beim nächsten mal wird...

Abends gabs endlich Internet, hurra. Da der Internetanschluß mit den Nachbarn geteilt wird, schlängelt sich das LAN Kabel an der Hauswand entlang und schlüpft schließlich durch den Postschlitz ins Apartment. Die Emails erreichen mich also beinahe sichtbar und auf dem selben Wege wie die 'snail-mail', was mir gut gefällt.

  12.4.2004 nach oben
 


Akihabara Electric City

Endlich war es soweit: Akihabara, das Elektronik-Paradies stand auf dem Programm für heute. Und dort gibt es wirklich alles, vom klitzekleinsten Elektroteilchen über den Föhn in Snoopy-Form, Reiskocher, Riesen-Fernseher bis zur Waschmaschine. Etwas weiter kommt dann ein anderer Stadtteil, Kanda, wo sich ein Second-Hand- Buchladen an den anderen reiht.


Kanda Second-Hand Book Area

Hier, in diesen Buchläden befindet man sich wirklich im Reich der Zeichen und ich komme mir vor wie ein kleines Schulmädchen, das mühsam die einzelnen, wenigen Buchstaben, die es bereits gelernt hat zu entziffern versucht ...aber dann aufgibt und die Augen in dem Meer aus Seiten und fremden Zeichen versinken läßt.

  13.4.2004 nach oben
 


no wave in sight/ dreaming of Hawai

Auf der Fahrt nach Kamakura, dem früheren Zentrum Japans fährt die alte Bahn am Meer entlang und was auf den ersten Blick wie Robben aussieht, sind dann Surfer, die sich im grauen Meer treiben lassen und auf Wellen warten. Bis auf einige wenige Wellen sah das Meer allerdings glatt aus wie ein gebügeltes Tischtuch. Was mich erstaunte war vor allem die Zahl der willigen Surfer. Auf der gesamten Strecke waren es wohl 150 in Neopren gehüllte Japaner.


the great Budda of Kotokuin Temple

Die große Budda Statue von Kamakura zieht unzählige Besucher an. Aber sie ist auch wirklich beeindruckend und strahlt eine ungeheure Ruhe und Gelassenheit aus. Für 20 Yen, also 15 Cent kann man ins Innere des Buddas steigen und die schweren Bronzenähte begutachten. Andere Buddastatuen wurden im Krieg für Munition eingeschmolzen; seltsame Vorstellung, der Budda, der zur Waffe wird.

Am Rücken des Buddas befinden sich Fenster, das heisst, zwei Stücke des Rückens waren ausgeschnitten und werden (tagsüber?) seitlich weggeklappt. Diese sehen aus wie kleine, unbrauchbare Flügelchen, rückgebildete Körperteile aus einer anderen Evolutionsstufe...

Jemand hat diese Mützchen gestrickt und den Steinfiguren übergezogen. Der Hasedera Kannon Tempel birgt viele Überraschungen und ganz unterschiedliche Orte zur Einkehr. Besonders eindrucksvoll ist die Grotte für die Göttin Bensaiten (die für weibliche Schönheit, Musik, Rhetorik und Reichtum zuständig ist); eine Höhle, in deren Steinwände die Reliefs von Bensaiten und (ihren?) Kindern gehauen wurden. Gebückt geht man durch die Höhlengänge und gelangt an mehrere kleinere Andachtsstätten.

Aber es ist immer wieder überraschend. Man denkt, wow, was habe ich jetzt nicht alles gesehen. Eigentlich war ich schon voll von Eindrücken und müde... aber es gab da noch einen alten Zen-Garten, der im 14 Jahrhundert von einem berühmten Zenmeister angelegt worden war... dieser Garten befand sich ganz abseits, in einem kleinen Tal, ganz am Rande von Kamakura. Ich hatte einen Steingarten erwartet, aber der Garten des Zuisenji Tempels war ein alter Garten, mit alten Bäumen, die sorgfältig gestützt wurden; eine Mischung aus Führung und Pflege, aus Stille und den Stimmen der Natur. Was für ein besonderer Ort. Augenblicklich wird man ruhig und eigentlich möchte man bleiben, sich mit der schwarz-rot gefleckten Katze anfreunden und mit ihr an den alten, knorrigen und moos-bewachsenen Bäumen entlangstreichen.

  15.4.2004 nach oben
 

Heute war wieder mal der wissenschaftliche Gesprächskreis in der deutschen Botschaft angesagt. Der Botschaftsmitarbeiter leitete ein, dass er den jungen Mann in der U-Bahn nach einer Veranstaltung kennengelernt habe... nach dem Vortrag mutmaste ich schon, dass die Botschaftsangehörigen in den U-Bahnen nach geistig verwirrten Deutschen Ausschau halten würden, denen man dann eine Gesprächsmöglichkeit mit Publikum in der Botschaft, quasi als Therapie anbietet... Tja, hier in Japan geht kein Ausländer verloren...

  16.4.2004 nach oben
 

Morgens stand ich mit Nib auf und begleitete ihn zum Bahnhof in Ikuta. Noch nicht ganz wach setzte ich mich zuhause an den Schreibtisch und versenkte mich in meinen Computer und in die bevorstehende Performance für den kommenden Abend. Meine ursprüngliche Idee lag mir krumm im Magen und ich hatte eine neue, aber etwas heikle Idee. Ich musste dringend mit jemanden darüber reden, bekam aber niemanden ans Telefon. Mist, also schrieb ich mir meine Gedanken in Emails von der Seele und hoffte, dass ich noch jemanden auftun könnte, der mir konzeptionell Gerburtshilfe könnte.

Bis zum Abend war das nicht geschehen. Es sollte noch eine Besprechung in der ef-Galerie geben und ich kam als erste und musste feststellen, dass die anderen mich nicht erreicht hatten und das Treffen von 21 auf 23.30h verschoben hatten. Na prima. Ich diskutierte mit den Betreibern der Galerie meine Idee, die auf große Bedenken stiess. Nicht, weil ihnen die Idee nicht gefalle, aber weil sie in der von mir gedachten Form nur schwer in einer Galerie mit Bar/Restaurant durchzuführen sei. Wir diskutierten und ich bekam genau die Auseinandersetzung, die ich gesucht hatte und als eigentlich klar war, dass ich das, was ich machen wollte nicht machen konnte, löste sich der Knoten, ich wusste, wie meine Perfromance durchgeführt werden musste, der Vorschlag wurde als beste Lösung befunden und ich war aufgeregt, auf was ich mich da eingelassen habe, hatte jetzt aber den Eindruck, ein stimmiges Konzept zu haben.

Beim Diskutieren waren die anderen Künstler gekommen und ich hatte meine letzte Bahn verpasst. Also musste ich zusehen, dass mich wieder jemand für die Nacht aufnahm, damit ich fit sei für den kommenden Abend.

  17.4.2004 nach oben
 

Auf was hatte ich mich da eingelassen! Ich bin keine Performerin. Wie komme ich nur immer auf diese Ideen! Irgendwas in mir bringt mich immer dazu, mich auf Unternehmungen zu stürzen und dann sitze ich mittendrin und muss durch, ob ich nun noch will oder nicht. Aber nun war es zu spät für derlei Gedanken, alles war vorbereitet und dann gings los, -> wait and see.

  18.4.2004 nach oben
 

Ich wachte morgens um 7 von der Sonne im Zimmer auf und sprang gut gelaunt aus dem Bett. Ob das die Auswirkungen der Performance sind, fragte ich mich?

Nach Bastelei am Computer traf ich mich nachmittags mit Andreas und Chihiro, um mir anzuhören, wie es ihnen gestern gefallen hatte. Wir sahen uns die Ausstellung einer Arbeistkollegin von Andreas an und bummelten dann durch die Stadt zu meinem Schreibwaren-Paradies: SEKAIDO. Dieser Laden ist wirklich himmlisch, alles, was man zum Schreiben, malen, drucken ezc braucht, brauchen könnte oder sich erträumen würde. Stempelsets etc gibt es dort auch und ich beschloß, Mitglied im Sekaido-Club zu werden, für 500Yen, ca. 4 Euro kann man 2 Jahre lang Rabatte bekommen, und da so eine Karte ja auch gleich genutzt werden will, kaufte ich mir noch ein kleines Stempelset für römische Buchstaben. Glücklich fuhr ich nach Hause und stempelte erst mal wild darauf los...

  19.4.2004 nach oben
 

Der ganze Tag stand unter dem Stern des für den Abend geplanten Keki-Viking, eine Art Kuchen Buffet, wo man für 100 Minuten soviel essen kann, wie man möchte- oder kann.

Zu fünft bereiteten wir uns bereits tagelang mit Esstraining und Hungern auf dieses Event vor und dann war es soweit. Auf die Plätze fertig los, das Reden wurde auf später verschoben und wir schichteten die leckeren Teilchen in unsere verborgenen Magenfalten. Zwischendurch gab es einen kleinen Salat, um die Schichtung zu stabilisieren. Sehr empfehlenswerte Abendvergnügung. Nur muss ich feststellen, dass ich es mir in den letzten Tagen etwas zu gut habe gehen lassen und da Japanerinnen in der Regel keine love-handels haben komme ich mir gerade eher barock vor.

  20.4.2004 nach oben
 

Heute war bald aufstehen angesagt, um nach Nagoya und Toyota zu fahren. Schlaftrunken checkte ich meine Mails und trank meinen Kaffee und machte mich dann auf den Weg zum Bahnhof. Der Nahverkehrszug war ja noch ok, aber der Express, mit dem ich eigentlich nach Shinjuku fahren wollte war so voll, dass ich mich entschloß, doch mit dem Bummelzug zu fahren, einfach weil ich nicht gequetscht wie eine Sardine mit Rucksack ect. den Tag und meine Reise beginnen wollte(ja, wenn man den Luxus der Entscheidung hat).

Im Local bekam ich dann auch einen Sitzplatz neben einem älteren Herren, der ein Gespräch mit mir begann, was ziemlich ungewöhnlich ist, da normalerweise eher die Frauen auf Ausländer zugehen, zumindest nach meiner Erfahrung. Er erzählte, dass er gerne jahrelang ein 'company single' gewesen sei also ein Mann, der zwar Familie und Kinder hat, aber in einer anderen Stadt arbeitet und dort ein kleines Zimmer hat. Einmal im Monat habe er dann seine Familie gesehen und als sein zweiter Sohn geboren wurde, war er eine Woche zuhause und dann ging er wieder für einen Monat nach Osaka. Ein Jahr lang arbeitete er auch in Hongkong, aber da seine Frau nicht gerne fliege, sei sie in Tokyo geblieben. seit acht Jahren nun würde er endlich in Tokyo leben und arbeiten, die Kinder seien jetzt natürlich aus dem Haus.

  21.4.2004 nach oben
 


Kitty ist auch um Tofu-Business

Bin also wieder auf dem Lande und in Chuckyo University. Und es ist sommerlich heiss. Heute morgen stellte ich fest, dass ich die Nacht mit 7 Stechmücken verbracht habe, was ein ziemlich einseitiges Vergnügen für die Mücken gewesen ist.

Das grün um den Campus breitet sich urwaldmäßig aus. Da ich ein Projekt mit Washipapieren habe, also den handgeschöpften typischen japanischen Papieren fuhr ich mit Momoko und Yoshiro-san zum Washi-Dorf Obara. Eine Stunde fuhren wir in Richtung Berge und kamen dann in einem verschlafenen Nest am Ende der Welt an. Die Ruhe hatte etwas angestaubtes, aber die Arbeitsmöglichkeiten sind gut und ich kann mit Hilfe und unter Anleitung die Werkstätten benutzen. Wie ich aber in das Dorf kommen kann, blieb etwas unsicher. Es fahren am Tag nur 2-3 Busse dort hin und natürlich nicht unbedingt zu den passenden Zeiten... also bot der Mitarbeiter an, mich an meinem Versuchstag im Mai um 7:50h von einer bestimmten Bahnhaltestelle bei Toyota abzuholen. Das ganze hat etwas konspiratives an sich, und ich bleibe gespannt.

Abends wollte ich mit Yuko und ein paar anderen ein Video in unserem Arbeitsraum sehen und entdeckte in der Bibliothek der Uni Doris Dörries Film: Monzen-Erleuchtung garantiert, Deutsch mit Japanischen Untertiteln. Kam bei allen supergut an (kann Uwe Ochssenknecht allerdings representativ für die deutschen Männer stehen, frage ich mich allerdings?)und ich wurde beauftragt, andere deutsche Filme zu organisieren...

  23.4.2004 nach oben
 

Morgens frühstückten wir zusammen in der Uni, ich bastelte noch an einer Bewerbung herum und dann brachen Akiko und ich nach Nagoya auf, wo wir noch einen Kaffee trinken wollten, bevor ich mit dem Shinkansen zurück nach Tokyo fahren wollte, um am Abend auf das DAAD Treffen ('Butterbrot und Bier', war der Titel der Veranstaltung) gehen wollte.

Bevor man sich dort allerdings an Butterbrot und Bier machen konnte gab es eine zweistündige Runde, in der alte und neue Stipendiaten ihre Erfahrungen austauschen konnten-sollten. Ab der Hälfte knurrte mir fürchterlich der Magen und ich überlegte schon, das, was ich sagen wollte als Bauchrednerin vorzutragen ...und dann gab es ein wunderbares Buffet. Normalerweise bin ich ja keine so große Wurstfreundin, aber an diesem Abend ... deutsche Brötchen (auch mit Mohn...) und verschiedene Aufschnittsorten... daneben traf man bekannte Gesichter von den verschiedensten anderen Veranstaltungen; die Stimmung war gut und die Unterhaltungen anregend.

Wie immer hier in Tokyo lassen sich schnell Querverbindungen herstellen, man stellt fest, dass man gemeinsame Bekannte hat und fühlt sich, zumindest für eine Weile zugehörig zu einer Art Gemeinde. Interessant sind an diesen Abenden immer die unterschiedlichen Disziplinen, die aufeinandertreffen und sich austauschen, denn normalerweise bewegt man sich doch eher im Kreise von Kollegen oder verwandten Gebieten.

  25.4.2004 nach oben
 


Vor dem Büro ziehen die Beschäftigten ihre Schuhe aus

In der Nähe der Haltestelle Mukogaoka-Yuen gibt es ein Freilichtmuseum, in das mehrere traditionelle Häuser aus ganz Japan verpflanzt worden sind. Gemeinsam mit Chihiro und Andreas war heute die Erkundung des Geländes angesagt.

Ultramoderne Häuser stehen in Japan ja des öfteren neben alten Holzhäusern (letztere sehen nicht selten wie zusammengeschusterte Hexenkaten aus) und das interessante an diesen Museem ist eben, dass man in die Häuser hineingehen kann und eine Vorstellung von der früheren Lebensweise in Japan erhalten kann. Die Gebäude sind auch wirklich imposant, besonders die Abtrennung der Räume durch Schiebetüren, so, dass die Zimmer beliebig vergrößert und verkleinert werden können und insgesamt einen Eindruck von Weite und Freizügigkeit geben.

Ein ehemaliges Gasthaus für Mensch und Pferd roch noch leicht nach Stall... Die Trennung von aussen und innen, Wohn-Schlafraum und Küche war meist fliessend; die Häuser standen meist auf Stelzen und wurden so von unten belüftet. Das Herzstück ist immer ein Quadrat irgendwo auf den Tatamis für ein Feuer, zum Kochen und Heizen(wobei es im Winter sicherlich immer lausekalt war und, wie meine Freundin Katrin sagen würde: 'zog, wie Hechtsuppe').

Danach wanderten wir zu mir und ich kochte. Also ich finde es ja erstaunlich, wie man das Kochen verlernen kann. Wenn ich bedenke, dass ich vor über 10 Jahren mal ein halbes Jahr lang jeden Tag für 15 Leute kochte und später jahrelang zumindest regelmäßig ist es ein ganz schön trauriges Bild, wie ich jetzt Nahrung fabriziere. Man vergißt einfach, was man braucht und wie das geht, das heisst, es fällt einem meistens dann ein, wenn man dasitzt und eigentlich mit dem Essen anfangen möchte. Also, das muss ich wieder üben, oder mir jemanden zum Wieder-Lernen suchen. Zu etwas selbst Gekochtem werde ich so schnell auf jeden Fall niemanden mehr einladen!

Aber der Tag war ja noch nicht vorbei und ich reiste ans andere Ende der Stadt, nach Asakusa, um dort an einem Musikabend in meinem 'Wohnzimmer', der Galerie ef teilzunehmen, will sagen, um zuzuhören. Ein bekannter Satsume-Laute Spieler gab eine Darbietung in der Galerie. Zunächst wurde die Laute, ihre Geschichte und die Geschichte des später zu hörenden Liedes erklärt. Die Laute sieht ein bischen aus wie ein großes glänzendes Insekt und wird mit einer Art hölzernem Geodreieck gespielt, dabei werden einzelne Seiten zum Klingen gebracht, aber die Seite des Holzplättchens wird auch auf das Instrument geschlagen, so dass ein lautes Klatschen gerzeugt wird. Zu der Musik singt der Spieler. Die Satsuma Laute wurde von den Samurai gespielt und man kann beim Zuhören etwas von der Spannung, Krieg und 'kultivierten Emotionen' spüren.

Danach lernte ich den österreichischen Keramiker Thomas Bohle kennen, der in der folgenden Woche seine Ausstellung mit Keramik in der Galerie eröffnen sollte. Er war mit einem befreundeten Filmemacher nach Tokyo gekommen, der Stefan, hiess und als er meinen Namen hörte, meinte, dass er als Junge von seinen Eltern oft Steffi genannt worden war; als ich erzählte, dass ich in meiner Familie oft Stefan oder Stefanus genannt worden bin (werde), mussten wir lachen... Später am Abend wurde mit den Vorbereitungen für Thomas Ausstellung begonnen und seine sehr schönen und beeindruckenden Stücke passten in die Galerie, als seien sie dort zuhause.

  28.4.2004 nach oben
 

Ein Arbeitsansatz für Japan war ja die Beschäftigung mit den deutschen Worten im Japanischen gewesen. Bei meinen Recherchen wurde meine Aufmerksamkeit aber etwas umgelenkt und ich stiess auf die Liebe der Japaner zum deutschen Lied.

Dass die neunte Sinfonie von Beethoven hier ganz hoch im Kurs steht, wusste ich ja, aber dass der beliebteste Kurs im Goethe Institut die Veranstaltung mit dem Titel. 'das deutsche Lied' ist, mag vielleicht doch erstaunen. Ich war bereits einmal dort gewesen und hatte die Kursleiterin, eine engagierte und überaus freundliche Pianistin, Karin Mikami kennengelernt.

Heute war ich zum zweiten mal dort und es wurden von Schumann vertonte Gedichte Heines besprochen. Paradoxerweise würde ich sagen, dass die Entdeckung von Robert Schumanns Musik eine der großen Gewinne meines Aufenthaltes in Japan ist. (Ich muss gerade mal überlegen, ob das vielleicht zu hoch gegriffen ist?- Ein Gewinn auf alle Fälle) Mir gefällt vor allem dieses Energische und auch die Wut in seinen Liedern.

Im Kontrast dazu machte ich mich auf den Weg in die Ginza, zum Mac Store. Mein Emailprogramm hatte aus einem einfachen Schnupfen eine lebensbedrohliche Grippe entwickelt und liess sich zwar noch öffnen, dann war aber Schluß, es stürzte bei jedem Befehl ab und ich konnte die Mails nicht mal woanders hinkopieren. Also wendete ich mich an die Genius Bar im zweiten Stock es großen Mac-Stores. Dort kümmerte sich dann ein netter Japaner um meinen Computer und zwar zwei Stunden lang. Wir versuchten alles mögliche, aber nichts war von Erfolg gekrönt und schließlich blieben nur zwei Möglichkeiten: einfach ohne das Programm arbeiten und alles im Internet schreiben, oder aber alles löschen. In der Impulsivität, die einen manchmel befällt beschloß ich: DELETE!

Am nächsten Tag wurde ich von Andreas geschimpft, er hätte sich das Problem auf der Unix Ebene mal ansehen können und dort meine Emails wahrscheinlich kopieren können... das nächste mal, kann ich da nur sagen. Vom Mac-Store zog es mich wieder nach Asakusa, zu der Eröffnung von Thomas und zuallererst mal, zur Erholung, von der Löschaktion und zur Stärkung in meine LieblingsNudelBar, wo ich scharfen Ramen ass und dann ging es weiter.

Die Ausstellung war sehr schön geworden und die Feier war angenehm familiär. Viele Österreicher waren gekommen und am Buffet gab es Leberkäse, wie mir mitgeteilt wurde quasi der Champagner des Leberkäses und er war wirklich sehr oishi. Ich wurde verschiedentlich auf meine Performance angesprochen, ob sich schon was getan hätte in meinem Leben und ich konnte nur sagen, dass ich seit dem Abend eigentlich vor allem gut gelaunt bin. Samson hatte ja alle seine Kraft verloren, nachdem ihm die Haare abgeschnitten worden waren und vielleicht hatte ich durch die Performance an Kraft gewonnen? Ansonsten hatte ich ja versprochen, in zwei Wochen einen Bericht in der Galerie zu hinterlegen ...ich bin selbst gespannt, was ich schreiben werde... Mit der letzten Bahn fuhr ich zurück nach Ikuta.

  29.4.2004 nach oben
 

Seit ich mit Chihiro in der Ausstellung 'Roppongi Crossing' im Mori Art Tower gewesen bin hatten wir ein Piknik geplant und heute sollte das Vorhaben am Fluß in die Tat umgesetzt werden.

Aber zunächst mal Asche über mein Haupt - ich kam zu spät, hatte den Weg wiedermal unterschätzt, war etwas zu spät losgekommen... Als ich von unterwegs aus mit Chihiro telefoniert hatte und eben auflegte, und weiterhasten wollte sprach mich eine Japanerin an: "Entschuldigung, sie habe mich deutsch reden hören... " sie suche eine Deutsch-Leherein, ob ich nicht Lust hätte. Ich war perplex und sowieso verwirrt, weil in Eile. Wir tauschten Emailadressen aus und ich beeilte mich zum verabredeten Treffpunkt zu kommen.

Wir waren sechs Leute und eine gemütliche Runde. Wir suchten uns einen netten Platz am Fluß und dann wurde geschlemmt und in der Sonne gebadet. In der Nähe fand auch ein Flohmarkt statt, wo aber nichts interessantes zu finden war (ausser Hello Kitty Kitsch). Ich machte denselben Fehler, wie jedes Jahr im Frühsommer und cremte mich nicht ein und sah am Abend aus wie ein Feuerkrebs. Aber wie ein Zufriedener.


   
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  ©2004 Steffi Jüngling