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Steffi Jüngling 
analog um die Welt
 
Reisetagebuch 11/2003 
 
 
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  1.11.2003  
 

Nach einem ausgiebigen Frühstück mache ich mich mit Ilya auf den Weg zu Bahnhof. Ich wäre gerne länger in Ulan-Ude geblieben... Mein Zug hatte Verspätung und ich teilte das Abteil mit einem Paar um die 50, Swetla und Alexander, das ihren Sohn bei der Armee in der Nähe von Wladiwostock besuchen wollte und einem jungen Soldaten, Nikolai, den Swetla gleich Kolja nennt, der auf dem Weg zurück zu seiner Truppe war. Das Paar konnte ein wenig Deutsch und erklärten, daß der junge Mann "Meermann" sei, also Seemann und in einem U-Boot arbeiten würde. Ich hätte ihm am liebsten ein paar Fragen gestellt, über das Leben und Arbeiten in einem U-Boot und natürlich über den Unfall in dem U-Boot Kursk vor knapp 2 Jahren. Aber da Nikolai kein Wort Englisch oder eine andere Sprache als Russisch sprach, blieben nur lächeln und anstossen...

Bald kommen ein paar fröhlich angeheiterte Russen ins Abteil und mehrere Halbliterflaschen Wodka werden geöffnet, wobei Alexander die ersten Tropfen der ersten Flasche nach alter bujatischer Sitte für die Geister im Gang auf den Boden tröpfelt. In der Nacht schnarchten die beiden Männer fröhlich miteinander, der Zug war stickig heiß, so daß wir die Abteiltüre offenstehen liessen. Ich kam mir ein wenig vor wie in einem U-Boot.

  2.11.2003 nach oben 
 

Ein ganzer Tag im Zug mit dem "Meister und Margerita", nur kurz unterbrochen von gemeinsamen Mahlzeiten mit meinen Mitreisenden.

  3.11.2003  nach oben 
 

Nachmittags Ankunft in Charbarowsk.
Ich werde von einem nicht gesprächigen Mann abgeholt, der mich zur Registrierung vor Ort ins Hotel Intourist bringt und dann in meine Familie. Es liegt Schnee und ist klirrend kalt. Nachdem meine Gastmutter kritisch meine Kleidung auf ihre Kälteverträglichkeit hin begutachtet hatte, stiefelte ich durch die abendliche Stadt, über der ein klarer weiter Himmel gespannt war.

Auf dem Leninpplatz thront hoch über der unvermeidlichen Leninstatue eine große Videowerbetafel, die allerhand Konsumgüter anpreist. Überhaupt erstaunt mich die Präsenz von Werbung und Konsum in Russland. In fast jedem Cafe steht ein Fernseher, auf dem MTV läuft und wenn man auf die Straße tritt, sieht man das Ergebnis, denn besonders die Frauen scheinen stereotypisch den Bildern der Medien nachzueifern. In meinen Turnschuhen falle ich da auf und werde nicht selten mitleidig belächelt.
Übrigens fällt hier auch eine Art akkustische Luftverschmutzung auf; ständig gehen irgendwelche Autoalarmanlagen an. Dazu werden viele öffentlichen Plätze mit russischer und amerikanischer Popmusik beschallt.

Im Wappen von Chabarowsk stehen sich ein Bär und ein Tiger gegenüber. Ich fragte meine Gastfamilie später erstaunt, ob es hier denn Tiger gebe und werde mit kopfschütteln wegen meiner Unwissendheit bedacht. Natürlich haben wir Tiger hier!

  4.11.2003 nach oben 
 

Am Abend zuvor hatte mir meine Gastmutter Fotos gezeigt, auf denen man sie mit ihrem Enkelkind beim Bad im Amurfluß sieht. Am Ende der Uliza Karla Marxa liegt der mächtige und träge Fluß.

Es ist ein wunderbar klarer Tag und ich verbringe ihn mit Spazieren und Window-Shopping. In einem Souvenirladen schmunzle ich über einen Stand mit venezianischem Glas, das ja nicht als russisches Souvenir bezeichnte werden könne und komme mit der Verkäuferin ins Gespräch, die Russin ist, jetzt aber mit ihrem italienischen Mann in Padua lebt und in verschiedenen russischen Städten Glasprodukte aus Venedig verkauft.

Eigentlich sollte an diesem Tag mein Visum um einen Tag verlängert werden, da es fälschlicherweise am 5.11. ausläuft, ich aber erst am 6.11. nach Japan fliege. Die Behörden in Chabarowsk allerdings sagen, dass das Visum jeweils nur am letzten Tag des Visadatums verlängert werden kann, also morgen gleich nach meiner Ankunft in Wladiwostock.

  5.11.2003 nach oben 
 

Meine (wie sich später herausstellt vermeintlich) letzte Nacht in Russland verbringe ich im Hotel Äquator in Wladiwostock.

Als ich am Morgen in Wladiwostock ankam, war ich gespannt: ich sollte von jemadem erwartet werden, der mir dann mitteilen würde, ob ich wegen dem heute auslaufenden Visum, im Laufe des Tages nach Korea fliegen würde und von dort aus weiter nach Japan, oder ob ich morgen einfach versuchen würde, mit dem um einen Tag verfallenen Visum zu fliegen. Das Mädel, das mich abholte wusste aber von nichts und da sie dachte, ich sei irgendwie hysterisch, versuchte sie mich zu beruhigen...
Sie brachte mich ins Hotel und meinte, jemand würde sich mit mir in Verbindung setzen und zwei Stunden später kam der Anruf (nachdem ich gebadet hatte... leider war der Badewannenboden ziemlich rauh und ich hatte mir beim Untertauchen kräftig den Hintern augescheuert...).

Das Visum könne heute nicht verlängert werden, da die zuständige Behörde heute geschlossen sei. Aha. Die Option war, nach Seoul zu fliegen, dort eine Nacht zu verbringen und dann am nächsten Tag weiter nach Japan zu fliegen. Ich müßte aber das Hotelzimmer selbst bezahlen ...und dann fiel mir mein Übergepäck ein, das ich dann zweimal einchecken und dafür bezahlen müßte. Die Dame meinte, daß man nicht wüßte, wie die Beamten am Flughafen reagieren würden und das es sein könnte, dass sie mich nicht fliegen lassen und ich zurück in die Stadt müsse... aber normalerweise würde man nur eine Strafe zahlen müssen, die die Agentur übernehmen würde, die das Visum fälschlicherweise beantragt hätte. Ich entschied mich, es mit meinem Abflugdatum zu versuchen, und machte mich auf in die Stadt.

Bis in die 90er Jahre war Wladiwostock als militärischer Stützpunkt eine gesperrte Stadt, in die Besucher nur mit einem Nachtzug fahren durften, so dass sie die militärischen Anlagen der Umgebung nicht ausspionieren konnten. Eine Kriegsflotte ist hier noch stationiert und die Stadt macht einen seltsam unzugänglichen Eindruck, am kleinen Yachthafen ist ein billiger Vergnügungspark für Kinder und Erwachsene. Es gibt eine kleine Karaoke Station, das heisst auf einer Bank ist allerhand Gerät und ein Fernseher postiert und auf der Bank gegenüber sitzen die Sängerknaben und Girlies mit Mikrophonen... Die Geräte und Menschen sehen deutlich nach end of season aus.

Ich hole mir eine rosafarbene Zuckerwatte und esse sie mit Blick auf die bronzene Jungfrau, die Zeit ihres Lebens mit kalten Füßen im Meer sitzen muß, als ich von einem Russen angesprochen werde, ob ich Russisch sprechen würde, oder Spanisch, oder Japanisch? Das war Salz auf meine japanische Sprachwunde - wie gerne hätte ich ihm in fliesendem Japanisch geantwortet, aber vor Schreck kam aus meinem Mund nur Englisch gestolpert. Er studiere Japanisch, aber der japanischen Wirtschaft gehe es ja leider nicht so gut und er hätte besser Chinesisch studieren sollen, man solle sich nur umsehen: überall Chinesen!

  6.11.2003 nach oben 
 


Is my journey really necessary?

What a difference a day makes, 24 little hours...
Der Tag hatte bereits ungut begonnen: ich war nach schlechten Träumen aus dem Schlaf aufgeschreckt und wusste nicht genau wieviel Uhr es war, wegen der ständigen Überschreitung von Zeitzonen.

Ich wolte erst einmal meinen Koffer für den Flug packen und mein Gepäck auf 2 Gepäckstücke zu reduzieren, wie es die russische Vladivstock Airline fordert. Beim Schließen des Koffers, brach mir der Schließer auseinander. Prima, dachte ich, das ist ja ein guter Start in den Tag. Ich konnte den Koffer zwar noch mit den Seitenschließern schließen, aber ideal war das natürlich nicht.

Ich machte mich erst mal auf den Weg in die Stadt, frühstückte an einem Stand an der windigen Uliza Svetlanskaja und begab mich dann in die Post, um meine Emails noch einmal im dortigen Business Center zu checken. Von Kyoko und Alexander, die ich am Abend ja endlich life kennenlernen sollte wurden mir noch zwei japanische Dämonen für die Grenze mit auf den Weg durch die Paßkontrollen gegeben und ich fühlte mich einigermaßen gewappnet.

Gestiefelt und bepackt stand ich im Foyer und wurde von Natasha abgeholt, die mir auf dem Weg zum Flughafen Instruktionen gab. Ich sollte nichts sagen und hoffen, dass niemand das abgelaufene Visum bemerken würde. Die Russen fahren wie die Irren, nervös und jeder hat es eilig. Wir kamen an mehreren Unfällen und Kamikaze Aktionen vorbei und unterhielten uns über Russland. Natasha liebt ihr Land; sie hat ein Jahr in LA gelebt und wäre manchmal am liebsten einfach so, zu Fuß nachhause gelaufen. Sie sehe all die Schwierigkeiten dieses Landes und die ständige Unsicherheit, was als nächsten kommen würde, aber sie liebe es eben und es sei für sie der besten Ort zum Leben. Für mich, jemanden, der sich in alle möglichen Orte und Umgebungen verlieben kann und sich an vielen ein, zumindest temporäres Heim vorstellen kann, ist diese Haltung einer Orts/Erdverbundenheit, Zugehörigkeit einigermaßen bewundernswert und fremd.

Schließlich kamen wir am Flughafen an. Natasha wartete am Eingang zum Check-in auf mich und beobachtete den Verlauf der Dinge. Ich kam mir ein bischen wie an der Schwelle zum Fegefeuer vor. Die erste Paßkontrolle bemerkte das ausgelaufene Visum nicht, ich zahlte für die 12 Kilo Übergepäck und noch für eine Verpackung meines Koffers ...und dann kam die zweite Paßkontrolle, bei dem die Dame den Fehler natürlich bemerkte und einen Offizier holte, der kein Englisch sprach und sich auf keine Diskussion einlassen wollte. Ich wurde zurück zur ersten Kontrolle geschickt und als ich sagte" I am sorry, I did not know", meinten die Damen trocken: "your sorry is not worth anything!". Sie trabten nach draußen zu Natasha, redeten mit ihr, ich wurde gebeten, zu warten und irgendwann kam der Offizier zurück und meinte gebrochen, dass ich zurück nach Wladiwostock fahren müsse, auf die zuständige Behörde, das Visum verlängern und dann einen anderen Flug nehmen müsse. Ohne Pardon.

Tja, also bekam ich meinen extra verpackten Koffer zurück und auch das Geld für das Übergepäck und wir fuhren in die Stadt zurück. Auf der Behörde zeigte sich dann das Ausmaß meiner Pechsträhne, denn am nächsten Tag war ein alter kommunistischer Feiertag und deswegen arbeitete das Amt nur halbtags, also waren alle bereits nachause gegangen und für mich hieß das, dass ich auf jeden Fall drei Tage, also mindestens bis Montag in Wladiwostock bleiben muß. Am Montag früh würde ich dann mit Natasha auf die Behörde gehen und dort würde man dann sehen, ob sie mein, dann bereits 5 Tage abgelaufenes Visum gleich verlängern würden, oder dafür einen oder zwei Arbeitstage bräuchten.

Was ist Zeit? Sinvolle und sinnlose Zeit?

Erfahrung ist das, was ein Arbeitgeber in Stellenanzeigen von einem Bewerber erwartet. Was Erfahrungen kennzeichnet ist, daß man sie sich nicht aussucht, sondern sie durchlaufen muß, ob man will oder nicht. Was bedeutet es, in einem Land zu leben, in dem die Behörden 'authorities', Autoritäten sind, die ein unberechenbares Eigenleben führen? Mir war vorher von Fällen berichtet worden, wo Russen aufgefordert wurden wegen irgendeines Papieres 300km zu einer anderen Behörde zu fahren, wo man dann prompt wegen Unzuständigkeit zurückgeschickt wurde. Dies wird dann als "normalne", normal bezeichnet.

  7.11.2003 nach oben 
 


In my dreams I am already in Japan

Eigentlich wollte ich in die Morgenvorstellung des neuen Matrix-Filmes gehen, aber die anstehenden Kids schreckten mich nachhaltig ab.
In einem Buchladen entdecke ich ein paar englische Bücher und kaufe Harry Potter, mit dem ich mir die Warte-Zeit vertreiben werde.

Das Hotelpersonal hatte mir freundlicherweise ein Zimmer gegeben, in dem ich zwar schlecht, aber immerhin die Deutsche Welle und einen koreanischen Sender auf Englisch empfangen kann. Neben Spazieren und eine Schiffstour fürs Wochenende auschecken hole ich das an Fernsehen nach, was ich in den vergangenen Wochen nicht hatte, bringe mein Reisetagebuch auf Vordermann und übe Entwicklungshilfe für mein Japanisch.

Ich hatte mich so darauf gefreut, in Yamagata bei Kyoko und Alexander anzukommen und bleiben zu können. In meinem Hotelzimmer komme ich mir ein wenig wie in Klausur vor.
Eine Zwischenzeit, zum Verschnaufen, Verarbeiten.

  11.11.2003 nach oben 
 

Die Klausur in Wladiwostok dauerte 5 Tage.
Am Montag- gestern war ich morgens mit Natasha auf dem Paßamt, wo meine Dokumente entgegengenommen wurden. Das Visum konnte nicht verlängert werden, sondern musste gänzlich neu ausgestellt werden und sollte in einem Tag, also heute fertig sein. Ich war aus Erfahrung skeptisch und rechnete mit allen möglichen Komplikationen.

Gestern hatte ich alle meine Sachen gepackt (wobei mir das Haupt-Schluß meines Koffers abbrach - MIST!!!) und war mit ihnen reisefertig zum Paßamt gefahren. Unterwegs musste ich also noch ein großes Klebeband besorgen und übte mich in der Verpackungskunst, nur um gestern Nachmittag den Koffer im Hotel wieder zu öffnen und aus-zupacken. Die Zimmermädchen kannten mich und meine Ausreise-besuche bereits und hoben das, was ich wegwerfen wollte für mich auf, für den Fall, dass ich wieder zurückkommen würde.

Aber alles lief erstaunlich glatt und ich bekam mein Visum und fuhr mit Natasha in die Agentur, um meine Flugtickets fertig zu machen. Da an diesem Tag kein Flug direkt nach Japan ging, wurde mir ein Flug nach Seoul in Korea gebucht, wo ich Se-Jung, meine frühere Mitstudentin aus Kassel besuchen konnte. Sie lebt zwar nicht in Seoul, hat dort aber ein Atelier, in dem ich schlafen konnte. Aber noch war ich ja nicht dort.

Mit gemischten Gefühlen fuhr ich zum Flughafen. Nach den gemachten Erfahrungen erwartete ich weitere Komplikationen (welcher Art auch immer), aber beide Paßkontrollen liessen mich ohne weitere Probleme (aber mit inquisitorischen Blicken) passieren. Und selbst für mein Übergepäck musste ich nichts zahlen, meinem mit orangefarbenem Klebeband zusammengehaltenen Koffer wurde lediglich ein Zettel mit der Aufschrift HEAVY angeheftet.
In Wladiwostok gibt es in einem sauberen und rein funktionalen Kubus eine Passkontrolle, zwei Check-in Schalter und es fliegen jeden Tag nur wenige Flugzeuge ab (mit wie ich weiss handverlesenen Gästen), die alle denselben Check-in Bereich passieren.

Plötzlich saß ich im Flugzeug. Das Flugfeld besteht aus Betonplatten, die an die deutschen, von Hitler gebauten Autobahnen erinnern und die Beschleunigung vor dem Flug wird von einem Dadongdadong dadong...Geräusch begleitet.

Plötzlich war ich in Seoul gelandet. Der Unterschied zwischen den Flughäfen in Wladiwostok und Seoul könnte nicht größer sein. Der Flughafen in Seoul ist modern, schick und eine internationale Athmosphäre umfängt den Reisenden. Ich fahre mit einem Luxusbus (mit Sicherheitsgurten) in die Innenstadt und lande in Se-Jungs Atelier, wo am selben Abend im Nachbaratelier eine Party gefeiert wird, jeder zweite Koreaner dort spricht englisch... am nächsten Abend ging ich mit Se-Jung in ein Restaurant, wo man am Tisch, oder besser über einem Loch im Tisch, das mit Grillkohle gefüllt ist grillen kann... (zu den Grillutensilien wird auch eine Schere geliefert, mit der man das Fleisch kleinschneiden kann)... LECKERST!

  13.11.2003 nach oben 
 

Die Dame beim Check-in sah mich mit bedauerndem Blick an: "it is raining in Sendai", informierte sie mich. Ich marschierte durch den futuristischen und äußerst sauberen Flughafen und zwei Stunden später kam ich in Sendai an.

Geldwechseln am Bahnhof, zum Bahnhof fahren (nach lustigen Verhandlungen in einem russisch-japanoiden Sprechgemisch mit Händen und Füßen), und dann mit dem Zug durch eine herrliche Berglandschaft nach Yamagata fahren.

Und ankommen bei Kyoko und Alexander. Manchmal trifft man auf Menschen, bei denen man nach 5 Minuten das Gefühl hat, sie bereits seit Jahren zu kennen... Ich kam an Lysanders erstem Geburtstag bei ihnen an und fühlte mich sofort zuhause und aufgehoben, oder wie man im Englischen sagen würde: pampert.

  14.11.2003 nach oben 
 


Paradise

Mein erster ganzer Tag in Japan wird gekrönt von einem Besuch in einem Onsen, einem japanischen Bad, das im Freien, in einem kleinen Tal liegt und von einer heissen Schwefelquelle gespeist wird. Man entkleidet sich (gänzlich) in einer Art offenem Unterstand und dann: hinein ins Vergnügen!
Männlein und Weiblein übrigens getrennt.

Was mich am meisten überrascht sind die Herbstfarben. In Russland ist der Winter bereits viel weiter fortgeschritten, kein Blatt hängt mehr an den Bäumen und der Eindruck ist grau-braun. Bereits auf der Fahrt von Sendai nach Yamagata hatte mich die herbstliche Landschaft begeistert; Yamagata liegt in einem breiten Tal und ist umgeben von Bergen, eine herrliche Landschaft und meine Augen saugen die Farbenpracht förmlich auf. Besonders schön sind die orangefarbenen Khakifrüchte, deren Bäume bereits alle Blätter abgworfen haben und so die Früchte richtiggehend zur Schau stellen.

  22.11.2003 nach oben 
 

Bin in eine gewisse Sprachlosigkeit versunken hier in Japan.
Vielleicht hängt das auch damit zusammen, dass ich meine ganzen Japanischkenntnisse zu vergessen haben scheine und somit wirklich sprachlos bin, eine Art Mündel. Heute bekam ich das quasi auch noch bestätigt. War zum ersten mal beim Sprachunterricht und WEISS jetzt, dass ich nichts weiss. ...und noch viel lernen muss. Auch sonst staune ich viel.

Zuallererst mal lacht man, wenn man erfährt, dass die Klobrillen hier beheizt sind, aber letztenendes ist das ja eine prima Sache, die man besonders dann schätzt, wenn man nachts in der Kälte auf die Toilette tappt.

Zum Frühstück gibt es in Japn normalerweise herzhafte Suppen, wobei ich bei Kyoko und Alexander in einer Art Schleuse bin, denn die beiden backen selbst Brot und so wechselt sich japanisches und europäisches Essen ab, und vermischt sich bisweilen. Die Nahrung ist hier in der Regel einzeln verpackt, also das heisst in einer Tüte Marschmallows ist jeder Marschmallow noch mal einzeln in ein Tütchen verpackt.


japanischer Piknik-Platz

  26.11.2003 nach oben
 


Yummie!

So langsam erwache ich aus meiner japanische Verpuppungsphase. Ich möchte nicht wissen, wieviele Kilos ich bisher schon zugenommen habe - und eigentlich kann ich nur hoffen, dass ich mich aus diesem raupenartigen Gefühl heraus in einen leichten Schmetterling verwandle, aber ich gehe mal davon aus, dass ich mich eher auf die Suche nach einem Dojo machen muss, wo ich das Hüftgold im Bauch-Beine-Po Bereich beim Aikido wieder abkämpfen kann. Das japanische Essen ist phantastisch und ich habe bereits so leckere Sachen, wie Chrysanthemenblüten, Muschelherzen und Tintenfischbällchen gegessen. Beeindruckend ist immer wieder, dass alles hier einzeln verpackt wird - habe heute im Supermarkt eine Packung mit Cashewkernen gesehen, wo wirklich jede einzelne Nuss noch mal einzeln in Plastik verpackt war, wie etwa ein Bonbon...

Heute besuchte ich mit Alexander und Maryo eine der japanischen Sehenswürdigkeiten: die Pilgerstädte von Yamadera. In früheren Zeiten lebten hier Mönche in den Höhlen des Berges, nach und nach wurden Schreine und Tempel gebaut und in einem Schrein brennt seit über 1000 Jahren ein Feuer. Es ist ein wirklich besonderer Ort, oder vielleicht eher eine Anlage, an deren Anfang ein Schrein steht, von dem aus man über unzählige Stufen und vorbei an vielen kleineren und größeren Gedenkstätten und Denkmälern zu Ausblicken und Schreinen gelangen kann.

Besonders beeindruckt haben mich die Gedenkstätten für die ungeborenen (abgetriebenen) Kinder. Sie sind meist mit kleinen Figuren versehen, aber die Steinfiguren werden auch bekleidet, Spielsachen und manchmal auch Lebensmittel werden abgelegt...


small monuments for the unborn children.

Ich nahm mir von dort auch ein Orakel mit, das für mich allerdings ein Geheimnis bleibt, da ich es nicht lesen kann. Das gefällt mir, ein unlesbares Orakel...

  30.11.2003 nach oben 
 

Endlich kann ich meine japanische Identität quasi besiegeln; für die Eröffnung eines Kontos, und überhaupt als zweite Unterschrift auf allen offiziellen Papieren benötigt man in Japan einen sogenannten Hanko-Stempel, mit dem Kanji, also chinesischen Schriftzeichen für den Nachnamen (übrigens haben alle japanischen Vor- und Nachnamen ein Kanji, also eine Bedeutung-Übersetzung).

Ich hatte mich also auf die Suche nach einem passenden Zeichen für meinen Nachnamen gemacht, was nicht ganz einfach war. Die Deutungen/möglichen Übersetzungen, die Kyoko zunächst einfielen, wurden noch einmal in einem japanischen Kanji-Wörterbuch überprüft. Da es keine direkte Übersetzung von Jüngling gab, sondern nur Annäherungen, wie junger Beamter, der gerade in den Staatsdienst eingetreten ist (wo ich mich nicht so ganz wiederfinden kann), entschied ich mich für das neutralere "hitorimono", also Junggeselle, junger Mann ohne Anhang.

Im Sprachgebrauch bezeichnet der Ausdruck einen jungen Mann, der für seine Freiheit von anderen beneidet wird, dem dieser Zustand aber bisweilen peinlich, oder unangenehm ist (auch wenn ich mich alleine ganz wohl fühle). Das gefiel mir für mich am besten, auch, weil es eine eher heitere, ironische Übersetzung meines Names und auch ein bischen meines Lebens ist. Nach dem Auswählen des Kanjis kaufte ich einen Speckstein für den Stempel und begann zu schnitzen.


sutepi hitorimono

   
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  ©2003 Steffi Jüngling