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Steffi Jüngling 
analog um die Welt
 
Reisetagebuch 8/2003 
 
 
Fr Sa So Mo Di Mi Do Fr Sa So Mo Di Mi Do
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  29.8.2003   
 

Routiniert überprüft der Schaffner im Regionalexpress
mein Ticket: Hassfurt-Sofia
Ungläubiger Blick auf mich und mein Gepäck, dann wünscht
er mir gute Fahrt. 

Wie seltsam, eine vertraute Strecke zu fahren, wenn man am Anfang einer Reise steht, die ans andere Ende der Welt führen wird. Das Vertraute wird bereits mit einem anderen, neugierigeren Blick betrachtet, fällt anders ins Auge.
 
Dann im Speisewagen durch Österreich; die weiße Tischdecke vor mir hat ein Loch und auf dem Platz gegenüber liegt eine einsame Wimper. Österreich ist auf der Strecke enttäuschend flach und erfrischend grün. In der Nascht zuvor hatte ich einen Spielfilm über den österreichischen Briefbomber gesehen, einen unauffälligen Spießer, der in den 90ern mehrere Attentate verübt hatte. Ich stellte mir vor, was in den sauberen, mit Eternitplatten verkleideten Häusern so vorgehen mochte.
Der Zug fährt fast zu schnell für mich und einen Augenblick später bin ich bereits in Wien.

 

  30.8.2003 nach oben 
 

Vor der Weiterreise noch schnell Proviant auf dem Naschmarkt kaufen, in Friederike Mayröckers Wienwüste.  
Noch einen Melange trinken, auf dem Tisch liegt eine vergessene und bereits ein wenig welke Rose. Ich komme mir wie ein einem Blind Date vor und betrachte fasziniert die Wiener Mischung aus Schickimicki und Existenzen, bevor ich mich auf den Weg mache zum Westbahnhof.  

Von Wien nach Budapest ist es ein Katzensprung und ich steige um in den Balkanexpress. Der Schaffner trägt mir den Koffer in mein Abteil und klappt das mittlere der drei Betten hoch. Ich warte auf die anderen Reisenden und die Abfahrt des Zuges. Als der Zug abfährt bin ich die einzige Reisende im Nachtwagen nach Bulgarien.

Fahrt durchs nächtliche Budapest und vorbei an einem Friedhof für Straßenbahnen. Beim Versuch, eine gemeinsame Sprache zur Verständigung mit dem Schaffner zu finden, antwortet der lediglich auf „English?“ mit „a little“ und dieses "a little" scheint sein ganzes Vokabular zu sein...also lächeln wir uns an und nicken uns zu.

Nachts werde ich zunächst von einem ungarischen und dann von einem rumänischen Zollbeamten geweckt. Der Rumäne spricht zärtlich meinen Vornamen aus und stempelt meinen Reisepass. Ich denke noch -he, was mache ich eigentlich in Rumänien? ­schlafe aber ein, bevor ich den Gedanken weiter verfolgen kann.

 

  31.8.2003 nach oben 
 

Abfahrt gestern um 19.10 in Budapest, Ankunft heute in
Sofia um 22.20.

Ich wache in meinem Schlafwagen von irgendeinem Geklapper im Nebenraum auf und habe einen Tag im Zuge vor mir. 

Draußen: strahlender Sonnenschein, Pferde und Eselskarren, Menschen bei der Feldarbeit. Viele Menschen sind zu Fuß unterwegs, einzelne Punkte in der Landschaft, ohne ein Haus in Sicht. Und ich alleine in meiner Fahrtzelle. Die Häuser und Siedlungen sind meist windschief und sehen eher gewachsen als gebaut aus; der Pflanzenwuchs ist wild und üppig.

Bukarest, Nordbahnhof.  

Ich sehe mir meine Strecke auf der Karte an und wundere mich über die Streckenführung. Als ich mich gerade zu einem kleinen Mittagsschlaf hingelegt habe, klopft es an die Türe und die beiden in Bukarest zugestiegenen rumänischen Schaffner stehen draußen.  
Sie halten mein Ticket in der Hand »Ticket no good Ticket no good for Romania«. Er setzt sich zu mir aufs Bett, nimmt meinen Reiseführer, sucht eine Karte, während sie in der Türe stehen bleibt.  
Die Dame der deutschen Bahn, bei der ich mein Ticket gekauft habe, hatte mir eine Fahrkarte für einen Zug von Budapest über Belgrad nach Sofia verkauft, mir aber einen Zug von Budapest über Bukarest (man sehe sich das auf einer Karte an) herausgesucht und für den Schlafwagen ein Ticket reserviert. Auf meinem Reiseplan stand lediglich: Abfahrt Budapest um 19.10 und Ankunft in Sofia 22.30. Der Schaffner hatte also recht: ich hatte kein Ticket für Rumänien, durch das ich ja aber auch eigentlich nicht fahren wollte und das für mich einen beträchtlichen Umweg bedeutete.  
Eine Weile führte jeder von uns einen Monolog, in dem er wiederholte, ich habe kein Ticket für Rumänien und ich wiederholte, dass dies nicht meine Schuld sei.  
Dieses Spiel wurde mit der frage: Do you have Euros? aufgelöst. Seine blondgefärbte Kollegin kam mit einem Kopie mit allerhand Zahlen und Tabellen in rumänischer Sprache an, zückte einen Notizblock, in dem nur noch ein zur Hälfte herausgerissener Zettel war, deutete mit einem Kuli auf die höchste Zahl, die sie auf ihrer Kopie finden konnte und rechnete (oder gab vor zu rechnen).  
Sie kam auf satte 57 Euros, die ich offiziell zahlen müsse und für die ich auch ein Ticket bekäme. Die andere Möglichkeit sei, dass ich 20 Euros zahle und mit einer Handbewegung deutete sie an: zwischen uns. Die andere Möglichkeit wäre, wieder eine Handbewegung, die aber nach draußen wies... Also zahlte ich nach kurzer Bedenkzeit und sie konnte ohne Probleme meinen 50 Euroschein wechseln.  

Aha und immer weiter. Über eine Donaubrücke, die einzige, die Rumänien mit Bulgarien verbindet.
 
Und nach einer Weile klopfte es wieder an meine Abteiltüre, diesmal war es ein neuer bulgarischer Schaffner. Und wieder hieß es: Ticket no good. Diesmal aber gewann ich den Monologwettbewerb.  
Ich habe ja bereits ein Ticket bei den Rumänen gezahlt, das für die ganze Strecke gelten sollte, aber nein, ein Ticket habe ich nicht bekommen, combien avez vous payez?  
20 Euro?-VAGABOUNDES!  
Schließlich meinte er, d’accord, allez.  

Die Bulgaren waren mir sofort symphatisch.  
Als der Zug am Bahnhof in Sofia einfuhr, saß mein Freund Geo gleich gegenüber der Waggontüre. An diesem Abend lernte ich noch, dass die Bulgaren, quasi als Starter einen Schopska Salat essen, zu dem traditionell Schnaps getrunken wird, und nach deutschen Maßstäben: ein doppelter.

 

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  ©2003 Steffi Jüngling