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Routiniert überprüft der Schaffner im Regionalexpress
mein Ticket: Hassfurt-Sofia
Ungläubiger Blick auf mich und mein Gepäck, dann wünscht
er mir gute Fahrt.
Wie seltsam, eine vertraute Strecke zu fahren, wenn man am Anfang einer
Reise steht, die ans andere Ende der Welt führen wird. Das Vertraute wird
bereits mit einem anderen, neugierigeren Blick betrachtet, fällt anders
ins Auge.
Dann im Speisewagen durch Österreich; die weiße Tischdecke vor mir hat
ein Loch und auf dem Platz gegenüber liegt eine einsame Wimper. Österreich
ist auf der Strecke enttäuschend flach und erfrischend grün. In der Nascht
zuvor hatte ich einen Spielfilm über den österreichischen Briefbomber
gesehen, einen unauffälligen Spießer, der in den 90ern mehrere Attentate
verübt hatte. Ich stellte mir vor, was in den sauberen, mit Eternitplatten
verkleideten Häusern so vorgehen mochte.
Der Zug fährt fast zu schnell für mich und einen Augenblick später bin
ich bereits in Wien.
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Vor der Weiterreise noch schnell Proviant auf dem Naschmarkt
kaufen, in Friederike Mayröckers Wienwüste.
Noch einen Melange trinken, auf dem Tisch liegt eine vergessene und bereits
ein wenig welke Rose. Ich komme mir wie ein einem Blind Date vor und betrachte
fasziniert die Wiener Mischung aus Schickimicki und Existenzen, bevor
ich mich auf den Weg mache zum Westbahnhof.
Von Wien nach Budapest ist es ein Katzensprung und ich steige um in den
Balkanexpress. Der Schaffner trägt mir den Koffer in mein Abteil und klappt
das mittlere der drei Betten hoch. Ich warte auf die anderen Reisenden
und die Abfahrt des Zuges. Als der Zug abfährt bin ich die einzige Reisende
im Nachtwagen nach Bulgarien.
Fahrt durchs nächtliche Budapest und vorbei an einem Friedhof für Straßenbahnen.
Beim Versuch, eine gemeinsame Sprache zur Verständigung mit dem Schaffner
zu finden, antwortet der lediglich auf „English?“ mit „a little“ und dieses
"a little" scheint sein ganzes Vokabular zu sein...also lächeln wir uns
an und nicken uns zu.
Nachts werde ich zunächst von einem ungarischen und dann von einem rumänischen
Zollbeamten geweckt. Der Rumäne spricht zärtlich meinen Vornamen aus und
stempelt meinen Reisepass. Ich denke noch -he, was mache ich eigentlich
in Rumänien? schlafe aber ein, bevor ich den Gedanken weiter verfolgen
kann.
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Abfahrt gestern um 19.10 in Budapest, Ankunft heute in
Sofia um 22.20.
Ich wache in meinem Schlafwagen von irgendeinem Geklapper im Nebenraum
auf und habe einen Tag im Zuge vor mir.
Draußen: strahlender Sonnenschein, Pferde und Eselskarren, Menschen bei
der Feldarbeit. Viele Menschen sind zu Fuß unterwegs, einzelne Punkte
in der Landschaft, ohne ein Haus in Sicht. Und ich alleine in meiner Fahrtzelle.
Die Häuser und Siedlungen sind meist windschief und sehen eher gewachsen
als gebaut aus; der Pflanzenwuchs ist wild und üppig.
Bukarest, Nordbahnhof.
Ich sehe mir meine Strecke auf der Karte an und wundere mich über die
Streckenführung. Als ich mich gerade zu einem kleinen Mittagsschlaf hingelegt
habe, klopft es an die Türe und die beiden in Bukarest zugestiegenen rumänischen
Schaffner stehen draußen.
Sie halten mein Ticket in der Hand »Ticket no good Ticket no good
for Romania«. Er setzt sich zu mir aufs Bett, nimmt meinen Reiseführer,
sucht eine Karte, während sie in der Türe stehen bleibt.
Die Dame der deutschen Bahn, bei der ich mein Ticket gekauft habe, hatte
mir eine Fahrkarte für einen Zug von Budapest über Belgrad nach Sofia
verkauft, mir aber einen Zug von Budapest über Bukarest (man
sehe sich das auf einer Karte an) herausgesucht und für den Schlafwagen
ein Ticket reserviert. Auf meinem Reiseplan stand lediglich: Abfahrt Budapest
um 19.10 und Ankunft in Sofia 22.30. Der Schaffner hatte also recht: ich
hatte kein Ticket für Rumänien, durch das ich ja aber auch eigentlich
nicht fahren wollte und das für mich einen beträchtlichen Umweg bedeutete.
Eine Weile führte jeder von uns einen Monolog, in dem er wiederholte,
ich habe kein Ticket für Rumänien und ich wiederholte, dass dies nicht
meine Schuld sei.
Dieses Spiel wurde mit der frage: Do you have Euros? aufgelöst. Seine
blondgefärbte Kollegin kam mit einem Kopie mit allerhand Zahlen und Tabellen
in rumänischer Sprache an, zückte einen Notizblock, in dem nur noch ein
zur Hälfte herausgerissener Zettel war, deutete mit einem Kuli auf die
höchste Zahl, die sie auf ihrer Kopie finden konnte und rechnete (oder
gab vor zu rechnen).
Sie kam auf satte 57 Euros, die ich offiziell zahlen müsse und für die
ich auch ein Ticket bekäme. Die andere Möglichkeit sei, dass ich 20 Euros
zahle und mit einer Handbewegung deutete sie an: zwischen uns. Die andere
Möglichkeit wäre, wieder eine Handbewegung, die aber nach draußen wies...
Also zahlte ich nach kurzer Bedenkzeit und sie konnte ohne Probleme meinen
50 Euroschein wechseln.
Aha und immer weiter. Über eine Donaubrücke, die einzige,
die Rumänien mit Bulgarien verbindet.
Und nach einer Weile klopfte es wieder an meine Abteiltüre, diesmal war
es ein neuer bulgarischer Schaffner. Und wieder hieß es: Ticket no good.
Diesmal aber gewann ich den Monologwettbewerb.
Ich habe ja bereits ein Ticket bei den Rumänen gezahlt, das für die ganze
Strecke gelten sollte, aber nein, ein Ticket habe ich nicht bekommen,
combien avez vous payez?
20 Euro?-VAGABOUNDES!
Schließlich meinte er, d’accord, allez.
Die Bulgaren waren mir sofort symphatisch.
Als der Zug am Bahnhof in Sofia einfuhr, saß mein Freund Geo gleich gegenüber
der Waggontüre. An diesem Abend lernte ich noch, dass die Bulgaren, quasi
als Starter einen Schopska Salat essen, zu dem traditionell Schnaps getrunken
wird, und nach deutschen Maßstäben: ein doppelter.
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